EIN BEEINDRUCKENDES INTERVIEW MIT JOYCE DE RUITER

Autorin und Rednerin Joyce de Ruiter leidet am Usher-Syndrom, eine Krankheit, durch die man langsam taub und blind wird. In ihrem Buch VAST-wie du frei denken kunt als alles festzustecken scheint bündelt sie ihre persönliche Geschichte zusammen mit Erkenntnissen über mentale Freiheit und Resilienz.

Text: Elle Smolders

Wann hast du gespürt, dass Freiheit etwas war, das du selbst bestimmen konntest?

‘Als Teenager wurde mir gesagt, dass ich allmählich taub und blind werden würde. Nach dieser Diagnose fühlte sich Freiheit einerseits gerade sehr fern, aber ich merkte auch, dass ich selbst wählen konnte, wie ich mit diesem Zukunftsbild umgehen wollte. Das war der Beginn meiner Suche nach mentaler Freiheit. Im Laufe der Zeit erkannte ich, dass nicht meine Umstände meine Freiheit bestimmen, sondern meine Gedanken. Ich kann selbst meinen Blick wählen.’

 

Womit fängst du an, wenn du dich freier fühlen willst?

‘Ich habe entdeckt, dass Freiheit mit Nichtwissen und Neugier zu tun hat. Sobald wir denken, es zu wissen, legen wir uns selbst fest. Solange wir neugierig auf die andere Möglichkeit bleiben – auf eine andere Perspektive, ein anderes Ergebnis – ist Raum. Freiheit ist auch etwas Inklusives: es ist nicht ‘solange ich nur vom Unangenehmen frei bin’ bin ich frei. Freiheit beginnt vielmehr damit, Angst, Frustration oder Traurigkeit zuzulassen, ohne dass diese Gefühle die Regie übernehmen.’

Warum musste dieses Buch entstehen?

‘Leben mit dem Usher-Syndrom fühlt sich manchmal an, als säße ich in einer Zelle eingeschlossen, deren Wände langsam näherkommen. Dennoch entdeckte ich, dass es immer Licht zwischen den Gitterstäben gibt, so klein dieser Spalt auch wird. In meinem Geist kann ich frei sein. Die Lektionen, die ich während meiner Suche gelernt habe, sind so universell, dass ich sie teilen möchte. Denn sei es im Körper, in einem System oder in einer Überzeugung: wir sitzen alle manchmal fest.’

 

Welche Übung funktioniert wirklich?

‘Was mir wirklich geholfen hat in Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, völlig festzustecken, ist das Regiemodell. Nach diesem Modell kannst du in so einer Situation nur drei Dinge tun: verändern, akzeptieren oder weggehen. Mehr Varianten gibt es nicht und das macht es sehr übersichtlich. Trotzdem neigen wir oft dazu, in dem Wunsch hängen zu bleiben, dass sich die Situation verändert. Daarbij frisst gerade dieses 'Zwischenstück' so viel Energie. Also: nimm Abstand, betrachte die drei Optionen und triff eine bewusste Entscheidung. Willst du etwas verändern? Fang bei dir selbst an, du kannst den anderen nämlich nicht verändern. Kannst du akzeptieren? Dann darfst du auch aufhören zu klagen. Gelingt keines von beiden? Dann ist Weggehen – buchstäblich oder mental – die einzige Option, die übrig bleibt.’

 

Was hoffst du, dass die Leser aus deinem Buch mitnehmen?

‘Dass es bei Freiheit nicht nur um Selbstbestimmung oder Autonomie geht, sondern auch um Verantwortung. Freiheit ist nicht einfach das zu tun, was du willst; sie bedeutet, zu wählen, ohne dem anderen zu schaden, und Rücksicht auf die Welt um dich herum zu nehmen. Und vielleicht am wichtigsten: Freiheit besteht darin, es zu wagen, nicht zu wissen, neugierig auf die andere Option zu bleiben, auch wenn sich das verwirrend anfühlt. Und wenn du diese Verwirrung dann feiern kannst, erfährst du auch eine Form mentaler Freiheit.’

 

Du hältst Vorträge im ganzen Land, auch bei Van der Valk. Was findest du am schönsten an diesen Begegnungen mit dem Publikum?

‘Wenn du langsam deine beiden Sinne verlierst, mit denen du kommunizieren kannst, ist die größte Angst, dass du keine Verbindung mehr herstellen kannst. Aber gerade indem ich meine Geschichte über Veränderung und die Entwicklung einer anpassungsfähigen Denkweise teile, erlebe ich diese Verbindung immer wieder neu. Ob in einem kleinen Saal oder vor zweitausend Menschen, während einer Keynote, eines Workshops oder eines Dinners: andere berühren dürfen – und durch ihre Geschichten berührt zu werden, wenn wir danach miteinander sprechen – fühlt sich jedes Mal wieder magisch an. Deshalb mache ich diese Arbeit mit so viel Liebe und Leidenschaft.’

Autorin und Rednerin Joyce de Ruiter (1984) leidet am Usher-Syndrom, einer Krankheit, durch die sie allmählich taub und blind wird. Sie spricht und schreibt über Veränderung und Mindset, agiles Führungsverhalten, Diversität und Inklusion, und Pflegekraft.